Paradigmenwechsel in der Asthmatherapie?

Wir haben die Stellungnahmen des Arzneitelegramms in unseren Artikel Asthma aufgenommen und hoffen, dadurch mehr Klarheit zu schaffen.

Thema der Woche, 17.02.2020 von Dr. med. Marlies Karsch

Seit Sommer letzten Jahres existierten zwei wichtige Asthmaleitlinien nebeneinander, die sich inhaltlich in wesentlichen Punkten unterschieden: die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) von 2018 und die Empfehlungen der Global Initiative for Asthma (GINA) von 2019. Im Praxisalltag spielten die Unterschiede in der empfohlenen Asthmastufentherapie vermutlich keine große Rolle. Zu unübersichtlich waren die Details. In unserem Artikel Asthma waren die beiden Empfehlungen bisher beide unkommentiert nebeneinander aufgeführt, ohne einer Leitlinie den Vorzug zu geben. Letzte Woche erschien die neue Konsultationsfassung der NVL-Asthma. In dieser Fassung werden die Unterschiede zur GINA relativiert.

Das Arzneitelegramm hat sich die beiden bisherigen unterschiedlichen Stufentherapie-Schemata gründlich angesehen, ihre Evidenzgrundlage bewertet und Empfehlungen ausgesprochen. Wir haben die Stellungnahmen in unseren Artikel Asthma aufgenommen und hofften, dadurch mehr Klarheit zu schaffen. Durch die neue Konsultationsfassung der NVL wird unser Artikel wieder einmal von der Realität überholt. Hier müssen wir die endgültige Publikation der neuen NVL abwarten. Es ist davon auszugehen, dass wir die Empfehlungen in unserem Artikel grundlegend revidieren müssen.

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Im Wesentlichen ging es bisher darum, dass die GINA in allen Therapiestufen ein inhalatives Kortikosteroid (ICS) in Fixkombination mit einem lang- und schnellwirksamen Betamimetikum (LABA) empfiehlt, auch als Bedarfstherapie. Die NVL hingegen riet bisher zu einer Bedarfstherapie mit schnellwirksamem Betamimetikum (SABA) in Ergänzung zur jeweiligen Stufentherapie. In der neuen Konsultationsfassung der NVL wird die Fixkombination aus ICS und Formoterol jetzt auch auf Stufe 1 und 2 alternativ zur bisherigen Therapie empfohlen. In der Stufe 1 der Asthmatherapie empfehlen also beide Leitlinien keine Erhaltungstherapie, aber als Bedarfstherapie ICS und LABA als Kombipräparat (in Deutschland off label). Die neue NVL empfiehlt alternativ das altbekannte SABA auf Stufe 1 und 2 als Bedarfsmedikation, auf Stufe 2 zusäztlich zur Dauertherapie mit ICS. Laut GINA und NVL kann jetzt aber auch auf Stufe 2 auf eine Erhaltungstherapie verzichtet werden. Die Autoren des Arzneitelegramms beziehen hierzu ebenfalls Stellung: Gemäß ihrer Einschätzung kann Jugendlichen und Erwachsenen mit guter Symptomkontrolle auf Stufe 1, aber erhöhtem Exazerbationsrisiko, sowie Patienten auf Therapiestufe 2, die eine tägliche ICS-Inhalation nicht akzeptieren, die Kombination aus ICS plus Formoterol als Fixkombination bei Bedarf angeboten werden.

Auf Stufe 3 und 4 empfiehlt die Konsultationsfassung der NVL wie bisher ICS in steigender Dosierung plus LABA und bei Bedarf SABA. Genau wie bei GINA wird aber neuerdings alternativ auch SMART (Single Maintenance and Reliever Therapy) empfohlen: Eine Fixkombination aus ICS und LABA sowohl als Erhaltungstherapie als auch im Bedarfsfall (z. B. Budesonid und Formoterol). Im Arzneitelegramm steht hierzu, dass laut Datenlage schwere Asthmaexazerbationen unter dem SMART-Regime seltener auftreten, aber ein Vorteil hinsichtlich Symptome, Lebensqualität und Lungenfunktion nicht belegt ist. Infolge der Einschätzung der Autoren ist SMART auf Stufe 3 und 4 vor allem bei Patienten über 12 Jahre zu erwägen, bei denen mit einem niedrig- bis mitteldosierten ICS plus LABA nur eine unzureichende Symptomkontrolle erreicht werden kann oder die trotz guter Symptomkontrolle ein erhöhtes Exazerbationsrisiko haben. Bei Patienten, die eine hochdosierte ICS-Erhaltungstherapie benötigen, wird von SMART abgeraten.

Inzwischen gibt es also die Leitlinienempfehlungen der noch gültigen NVL und der GINA. Hinzu kommen die Einschätzungen des Arzneitelegramms und die letzte Woche publizierte Konsultationsfassung der neuen NVL Asthma. Insgesamt ist es noch etwas unübersichtlich, die einzelnen Empfehlungen voneinander zu unterscheiden und zu gewichten. Sollte die neue NVL offiziell erschienen sein, wird die Situation wieder klarer: Dann gelten für Deutschland die Empfehlungen der NVL.

Marlies Karsch, Chefredakteurin

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